Hintergrund

Der Sozialstaat schützt und stützt die Mitte

Wer das soziale Netz zerschneidet, gefährdet die Mittelschicht

Der Rückgang der Mittelschicht im Westen ist dort am stärksten, wo der Sozialstaat geschwächt und abgebaut wurde. Ersichtlich in den USA, Großbritannien oder Spanien. Bei einem genaueren Blick auf die Mitte werden unterschiedliche Teile dieser – oft fälschlicherweise als einheitlich dargestellten – Schicht sichtbar. DIE Mitte gibt es nicht, wie aktuelle Daten der Österreichischen Nationalbank zeigen.

Bezieht man neben Einkommen auch Konsum und Vermögen in die Analyse ein, dann zerfällt die Mitte in einen Teil mit Rücklagen und in einen ohne. Die untere Hälfte hat kaum nennenswerten Besitz. Wobei „Unten“ und „Mitte“ einander näher sind als „Mitte“ und „Oben“. Und das macht einen Riesenunterschied. Die untere Mittelschicht lebt nämlich solange in relativem Wohlstand mit Mietwohnung, Auto, Urlaub, Hobbies und Zukunftschancen für die Kinder, solange Systeme des sozialen Ausgleichs existieren. Ihre Lebensqualität wird durch den Sozialstaat möglich gemacht. Pensionsversicherung, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, geförderte Mietwohnungen und öffentliche Schulen sichern den Lebensstandard und verhindern gerade in unsicheren Zeiten ein Abrutschen nach unten.

Die Mitte ist dort weniger gefährdet, wo es ein starkes Netz sozialer Sicherheit gibt.

Die untere Mitte hat kein Vermögen um Einschnitte wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit einfach aufzufangen. Und wäre sie gezwungen Vermögen für Alter, Bildung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit anzusparen, wäre ihr Lebensstandard und ihr Konsumniveau vernichtet. Die Mitte ist dort weniger gefährdet, wo es ein starkes Netz sozialer Sicherheit gibt.

All das weist auf die Stärken eines gut ausgebauten Sozialstaats hin:

  • Sozialleistungen wirken als automatische Stabilisatoren: Während Industrieproduktionen, Exporte und Investitionen in Folge der Finanzkrise stark gesunken sind, ist der Konsum der privaten Haushalte stabil geblieben, teilweise sogar gestiegen.
  • Ein stabiles Sozialsystem fördert stabile Erwartungen: Der Sozialstaat bedeutet eine Risikoabsicherung bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und im Alter. Die Verlässlichkeit der sozialen Institutionen verhindert Angstsparen.
  • Länder mit hohen Sozialstandards performen besser: Sämtliche wirtschaftlichen Indikatoren (Beschäftigung – insbesondere Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum, Armutsgefährdung, Staatsfinanzen) zeigen, dass die skandinavischen und kontinentaleuropäischen Länder die besten Ergebnisse vorweisen.
  •  Der Großteil wohlfahrtsstaatlicher Leistungen stellt eine Umverteilung im Lebenszyklus dar.Wir befinden uns im Laufe unseres Lebens auf verschieden Einkommensstufen. Die meisten wandern im Laufe des Lebens die Einkommensleiter hinauf und im Alter wieder eine gewisse Strecke zurück. Der kontinentaleuropäische Sozialstaat legt hohen Wert auf Versicherungsleistungen und Statuserhalt; daher profitiert die Mittelschicht stark von den Sozial- und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen.
  • Monetäre Transfers tragen entscheidend zum sozialen Ausgleich bei und wirken armutspräventiv. Sie reduzieren die Armutsgefährdung von 44% auf 13,9%. Am progressivsten wirken Arbeitslosengeld, Notstands- und Sozialhilfe sowie Wohnbeihilfe und Pflegegeld. Als „erheblich materiell depriviert“ gelten Personen in Haushalten, denen es am Notwendigsten mangelt, die Wohnen, Ernährung, Gesundheit, Wärme beraubt („deprivare“) sind. Europäische Länder, die weniger als 4% „erheblich deprivierte“ Personen aufweisen, sind Schweden, Niederlande, Finnland, Dänemark, Deutschland, Luxemburg und Österreich. Durch die sozialstaatlichen Leistungen wird die Armutsgefährdung gegenüber der
  • Einkommenssituation, die über die Märkte zustande kommt, fast um die Hälfte verringert. Die Armutsgefährdungsquote lag 2015 bei 13,9%, ohne Sozialleistungen beliefe sie sich auf 25,6%; schließt man auch die öffentlichen Pensionen aus, läge sie bei 44,4%.
  • Grafik: Starke Sozialstaaten reduzieren Abstiegsgefahr und schützen die Mitte vor Armut
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Stärken optimieren, Schwächen korrigieren

Was sind die Stärken und was sind die Schwächen, fragt man sich, wenn man etwas verbessern will. Im besten Fall führt dies dazu, dass die Schwächen korrigiert und die Stärken optimiert werden. Das gilt auch für den Sozialstaat. Dort, wo soziale Probleme steigen, müssen wir gegensteuern, dort, wo soziale Probleme präventiv verhindert werden, müssen wir weiter investieren. Sonst werden die Schwächen verstärkt und die Stärken geschwächt.

Weitere Informationen: Soziales Netz schützt die Mitte (PDF)